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Hui, was für eine aufregende Woche liegt hinter uns! Und dafür verantwortlich: WallstreetBets – ein Reddit-Forum, das Teilen der Wall Street geradezu den Krieg erklärt hat. Warum das uns alle angeht, erfährst du im folgenden Artikel.

WallstreetBets vs. Wall Street

Was für ein Schauspiel, das wir seit einigen Tagen auf dem großen Börsenparkett erleben dürfen. In den Hauptrollen: Auf der einen Seite die mächtigen institutionellen Anleger, wie insbesondere die Investmentfirma Melvin Capital. Auf der andere Seite eine lautstarke Community aus privaten Anlegern, die vor allem auf Reddit in dem Forum r/WallstreetBets eine Heimat fand. Und im Mittelpunkt: GameStop (WKN: A0HGDX). Ein strauchelnder Videospiele-Verkäufer, der seit Jahren nur noch Verluste schreibt.

WallstreetBets
Das Gesicht von WallstreetBets

Hedgefonds nehmen GameStop ins Visier

Schauen wir zunächst auf die Seite der Bösen. Diese Rolle nimmt in unserem Western unter anderem Melvin Capital ein, eine 2014 in New York gegründete Investmentfirma, die für die institutionelle Wall Street ins Feld zieht. Der Hedgefonds hatte schon vor einer Zeit GameStop ins Visier genommen und eine massive Short-Attacke gegen den schwächelnden Videospiele-Verkäufer gestartet. Das bedeutet: Melvin Capital hat auf fallende Kurse gesetzt, um davon zu profitieren. Und dieses Vorgehen gefällt natürlich nicht jedem.

Leerverkäufe können Funktion erfüllen

Um es klar zu sagen: Ich bin absolut kein Gegner von Leerverkäufen. In schwachen Marktphasen nutze ich entsprechende Instrumente auch sehr gerne selbst. Auch Hedgefonds, die auf fallende Kurse wetten, können eine wichtige Funktion erfüllen: Indem sie Missstände in Unternehmen aufdecken. Erinnern wir uns beispielsweise an Wirecard (WKN: 747206). Hier hätte ich die Signale, auch von Seiten der Leerverkäufer kamen, mal lieber beachten sollen (hier zu meinem Artikel). Und sehr gerne sollen Leerverkäufer, ob nun privat oder institutionell, dann auch Profit daraus schlagen. 

Absurdes Short Interest bei GameStop

Klar ist aber auch: Bei GameStop ist jegliches Maß verloren gegangen. Innerhalb eines Jahres war das Short Interest von knapp $ 275 Mio. auf über $ 5,5 Mrd. angestiegen. Das Short Float lag am Ende bei fast 140% (hier). Das bedeutet: Es waren mehr Papiere in den Händen von Leerverkäufern als am Markt überhaupt verfügbar. Das ist nicht nur absurd, sondern lässt sich am Ende auch nur mit einem Wort beschreiben: Gier. Und Melvin Capital verleiht dieser maßlosen Gier ein Gesicht. 

WallstreetBets entfacht finanziellen Shitstorm

Die massiven Short-Positionen bei GameStop vielen auch der WallstreetBets-Community auf. Und so entstand die Idee, den Spieß einfach umzudrehen und gegen die Interessen von Melvin Capital und Co. den Kurs von GameStop nach oben zu kaufen. Diese Idee verbreitete sich wie in Lauffeuer in der Community — und ein wahrer Shitstorm entlud sich über Melvin Capital. Ein Shitstorm, der sich aber nicht nur in Worten äußerte, sondern auch in Aktienkäufen. 

WallstreetBets treibt GameStop-Kurs in die Höhe

Die Strategie ging auf: Seit Anfang des Jahres ist der Kurs von GameStop um mehr als 1.500% in die Höhe geschossen. GameStop war in den letzten Tagen die am meisten gehandelte Aktie der Welt. Und in ihrem Sog schossen weitere Aktien mit hohem Short-Interest nach oben, beispielsweise BlackBerry (WKN: A1W2YK) oder der US-Kinobetreiber AMC Entertainment (WKN: A1W90H).

Und die Leerverkäufer? Die mussten nach und nach ihre Positionen glattstellen. Allein mit GameStop haben sie in den letzten Tagen mehr als $ 5 Mrd. Verlust eingefahren (hier). Und alleine Melvin Capital soll nach Angaben des Wall Street Journal in den vergangenen Tagen rund 30% seines Kapitals verloren haben.

WallstreetBets ist keine Bewegung

Damit könnte unsere Geschichte zu Ende sein. Das Gute hat das Böse besiegt. Aber wie gesagt: Ganz so einfach ist es nicht — und das Kapitel ist auch noch nicht abgeschlossen. Ich selbst bin schon etwas länger ein mehr oder weniger stiller Leser im WallstreetBets-Forum. Und ich muss zugeben: Die zum Ausdruck gebrachte YOLO- und F*ck it all-Attitüde der Community macht schon Spaß. Vielleicht auch, weil sie im krassen Gegensatz zur sonst eher nüchternen Finanzwelt steht.

Aber WallstreetBets jetzt zur sozialen Bewegung à la Occupy Wall Street zu erheben, ist weit entfernt von der Realität: WallstreetBets steht nicht für ein gemeinsames Ziel — und hat keine gemeinsame Stimme. Denn trotz der jüngsten Entwicklung um GameStop versammeln sich bei WallstreetBets doch vor allem Privat-Investoren, die mit oft riskanten Wetten vor allem schnelles Geld machen wollen. Das ist auch okay — sofern den Nutzern das Risiko dieser Wetten bewusst ist. Leider ist das WallstreetBets-Forum aber auch voller Beispiele von Anlegern, die massive Verluste einstecken mussten.

WallstreetBets steht für eine Entwicklung

An der Börse wurde schon immer die Zukunft gehandelt. Und um sich die Zukunft auszumalen, braucht es Phantasie. Und die Phantasie hat längst zugenommen — und ergänzt längst auch die fundamentalen Bewertungskriterien. Ein gute Story, an die ich glauben kann, ist heute genauso viel Wert, wie gute Geschäftsergebnisse. Genau diese Entwicklung bringt WallstreetBets zum Ausdruck.

Die Entwicklung ist aber nicht neu: Erinnern wir uns doch daran, wie Trader im Juni des vergangenen Jahres den Kurs des insolventen Autovermieters Hertz (WKN: A2LSZ) innerhalb eine Woche um rund 700% nach oben kauften. Wenige Wochen später geriet Eastman Kodak (WKN: A1W4RC) in den Fokus und stieg auch innerhalb weniger Tage um mehrere hundert Prozent. Beide Aktien sind übrigens genauso schnell wieder abgestürzt. Ein weiteres aktuelles Beispiel im Bereich der Kryptowährungen ist der Dogecoin. Auch dieser explodierte innerhalb weniger Tage.

Wir alle sind Teil von WallstreetBets

Gemeinsam haben die Beispiele, dass sie über neue Medien entstanden sind: Angefacht und millionenfach verbreitet über Foren, Social Media und Chats. Wie soll man nun damit umgehen? Natürlich kann man sich an die Seite stellen, sich verwundert die Augen reiben und über die Zocker-Mentalität schimpfen. Aber im Grunde ist dies zu kurz gedacht. Denn wir können uns dieser Realität nicht entziehen und befinden uns als Investor auf dem gleichen Spielfeld. Vielleicht ohne es zu wissen, spielen viele von uns das Spiel sogar mit – wenn auch nicht unbedingt auf der Extrem-Stufe von GameStop.  

Jeder von uns, der in Werte wie Tesla (WKN: A1CX3T), Beyond Meat (WKN: A2N7XQ) oder NEL ASA (WKN: A0B733) investiert folgt doch am Ende auch vor allem einer Story, die nicht auf fundamentalen Daten beruht. Jeder von uns, der in den polnischen Spieleentwickler CD Projekt (WKN: 534356) investiert ist, konnte vor ein paar Tagen sehen, wie Elon Musk mit einem einzigen Tweet den Kurs nach oben bewegt hat.

Und wer in eher solide deutsche Werte wie zum Beispiel den Batteriehersteller Varta (WKN: A0TGJ5) oder den Wirkstoffforscher Evotec (WKN: 566480) investiert ist, befindet sich plötzlich sogar mitten im WallstreetBets-Spiel. Denn beide Werte befinden sich, wie auch CD Projekt, unter anderem weit oben auf der Leerverkauf-Liste von Melvin Capital, also genau jenem Hedgefonds, gegen den WallstreetBets gerade ins Feld zieht. Und die Kurse beider Werte zeigen, dass sie sich den Entwicklungen nicht entziehen konnten. 

Letzten Endes zeigt dies: Wir alle sind ein Teil von WallstreetBets – ob wir wollen oder nicht! Wir sollten uns immer der Tatsache bewusst sein, dass auch unsere Investments ganz schnell in den Sog von Leerverkäufern oder entfesselten Käufern geraten können. Und dass sich dies dann weder fundamental begründen, noch irgendeiner Form kontrollieren lässt.

Demokratisierung der Finanz-Märkte?

Vielleicht sollte man die jüngsten Entwicklungen um WallstreetBets auch gar nicht nur negativ betrachten. Markus Koch hat gestern in seinem Podcast und auf YouTube unter anderem den Begriff der Demokratisierung verwendet.

In meinen Augen ist da so einiges dran: Wenn auch das Schauspiel um WallstreetBets, GameStop und die bösen Hedgefonds komplett übersteigert ist und in seiner Bedeutung auch von den Medien masslos überstilisiert wird, so zeigt es doch: Wir erleben eine Machtverschiebung hin zu uns Privatanlegern. Neue Medien verleihen uns heute mehr Mitspracherecht und können Debatten anregen. Und wenn WallstreetBets am Ende zu einer aufklärten Debatte führt, ist das doch sehr zu begrüßen, oder?

Was sind eure Gedanken rund um WallstreetBets, GameStop und Leerverkäufe? Ich bin gespannt auf eure Meinung und Kommentare!

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